Essay über das Leistungsschutzrecht
2023-08-17
Das Leistungsschutzrecht gehört zu den politischen Konzepten, die immer wieder auftauchen, obwohl sie sich nicht erfolgreich durchsetzen. Entweder war es politisch chancenlos wie mehrmals in der Schweiz, oder dann folgenlos wie in Deutschland oder dann nicht umsetzbar wegen grossen Konflikten, die es auslöste, wie in Spanien oder Australien. Ob diese neue Vorlage die Vernehmlassung politisch überlebt, ist noch offen.
Dass es jetzt wieder auftaucht, ist aus der Sicht seiner Initianten nachvollziehbar. Es ist die direkte Folge der Ablehnung des Medienpaketes im Februar 2022. Die wohl korrekte Analyse des Abstimmungsresultats ist, dass eine staatliche Medienförderung keine Mehrheit finden kann, weil es nicht gelungen ist, staatliche Ferne (Medienfreiheit) und staatliche Nähe (Subventionen) unter einen Hut zu bringen und Unabhängigkeit und Vielfalt zu gewährleisten. Das Leistungsschutzrecht verspricht, für beides zu sorgen und gleichzeitig nichts zu kosten. Damit soll Mitte-Rechts ins Boot geholt werden.
Federführend für die Vorlage ist das Institut für Geistiges Eigentum IGE und nicht das BAKOM wie beim Medienpaket, weil es eine Änderung des Urheberrechts beinhaltet. Man kann dem IGE zugestehen, dass es aus dem Erfahrungen der anderen Länder gelernt und für die Umsetzung einiges richtig gemacht hat.
So entsteht zwar mit dem Leistungsschutzrecht ein neues patrimoniales Recht, aber es ist lediglich ein Vergütungsrecht, das nur kollektiv abgerechnet werden kann. Es ist kein exklusives Recht, niemand kann eine Verlinkung verbieten. Die Verlage müssen gemeinsam mit den Plattformen einen Tarif aushandeln, der grossen und kleine Medien gerecht wird, und der vom IGE genehmigt wird. Dies schützt die Medienvielfalt, aber auch die Gleichstellung unter den Plattformen.
Zweitens wird die Autorenschaft der Journalist:innen explizit anerkannt, in dem ihnen ein angemessener Anteil der Vergütung zukommt. Gemäss aktueller Praxis in anderen Urheberrechtsdomänen wäre der Anteil 50%, die ihnen direkt ausbezahlt werden müssen. Die Erfahrungen aus dem Filmbereich zeigen, dass solche Vergütungen einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Absicherung und Einkommenssicherung der Urheber:innen beitragen. Gegenüber der gegenwärtigen Enteignung der Journalist:innen durch die Verlage ist dies ein regelrechter Durchbruch.
Drittens beweist die Vorlage ein gewisses Augenmass, indem sie nur auf grosse Anbieter zielt. Nur wer sowohl gewinnorientiert arbeitet und mindestens 10% der Bevölkerung erreicht, ist vergütungspflichtig. Neben den Suchmaschinen wie Google wären dies nach Digimonitor die Plattformen Instagram, Facebook, Linkedin, Snapchat, Tiktok und Pinterest, nicht aber Twitter. Sonst erreichen nur spezialisierte Websites (sbb.ch, search.ch), nichtkommerzielle Sites (Wikipedia) und die Medien selber eine solche Reichweite. Aber der Grossteil der Websites wäre nicht betroffen, was viel Bürokratie für wenig Vergütungen erspart.
Dass Snippets neu grundsätzlich erlaubt sind, ermöglicht auch neue Nutzungen durch kleine Medien und Websites, die heute noch mit Abmahnungen bekämpft werden.
Komplizierter wird es jedoch, wenn man die Höhe der Vergütung bestimmen will. Das Gesetz ist ausgesprochen vage, was die Berechnung angeht, es nennt lediglich als Prinzip der Aufwand der Medienunternehmen bzw. den Ertrag aus der Nutzung durch die Plattformen. Letztlich wird die Höhe nicht durch das Parlament, sondern nur die Vertragsparteien in einem ausgehandelten und vom Bund genehmigten Tarif bestimmt.
Die Bestimmung der Höhe trifft den Kern der Vorlage, was eigentlich vergütet wird, und letztlich die Begründung, welche das Leistungsschutzrecht rechtfertigt.
Eine erste Argumentation wäre, die Vergütung wäre eine Entschädigung für den Einnahmenausfall, der dem Medienunternehmen entsteht, weil die Konsument:innen auf der Plattform nur den Textausschnitt nutzen und nicht danach das Medium direkt nutzen. Die Plattform verdient etwas (mit der Werbung auf der gleichen Seite), das der Verlag nicht mehr verdient, und sollte einen Teil davon abgeben, um den Schaden zu begrenzen. Dies erscheint nachvollziehbar, gäbe es für die Medien nicht andere Mittel, dem Schaden abzuwenden. Die Indexierung durch Suchmaschinen ist freiwillig. Jeder Website kann mit einer einfachen Textdatei robots.txt die Suchmaschinen davon abhalten, den Website oder Teile davon zu indexieren. Doch die Verlage versuchen nicht, ihre Inhalte bei sich zu behalten. Im Gegenteil: Medienverlage optimieren ihre Websites für Google, lassen Google die Texte hinter der Paywall lesen und manchmal sogar die Inhalte teilen. Damit ist offensichtlich, dass der Nutzen für die Medienverlage grösser ist, von Google indexiert zu werden als abwesend zu sein. Wenn der Nutzen aber grösser ist, kann kein individueller Schaden geltend gemacht werden.
Zwischen den Medien und Google besteht eine Symbiose. Google ist auf attraktive Inhalte angewiesen und die Verlage auf Reichweite. Ein Medium online zu etablieren ohne Google-Präsenz wäre heute unmöglich. Dass Google die gesamten Werbeeinnahmen für sich behält, ist zwar ungerecht, aber mikroökomomisch handelt es sich um eine Win-Win-Situation.
Eine Vergütung lässt sich deshalb nur über ein Narrativ rechtfertigen, dass die makroökonomische Situation einbezieht. Haben die Verlage die Wahl, mit jemandem anderen zusammen zu arbeiten als Google? Sie haben es nicht, da diese Suchmaschine ein faktisches Monopol hat. Sie haben allerdings auch nicht versucht, ein Schweizer Portal für Medien aufzubauen, wie wir an anderer Stelle vorgeschlagen haben.
Makroökonomisches Narrativ: Das faktische Monopol der Suchmaschinen führte zu einer Abwanderung der Werbung von den Medienverlagen zu Google, aber nicht nur, es war auch Innovation: Während Online-Zeitungen auch die bezahlte Kundschaft mit Popups vergraulte, die den ganzen Bildschirm versperrte, setzte Google auf relativ diskrete individualisierte Textanzeigen in Standartformaten. Suboptimal für die Privatsphäre, aber effektiv für das Geschäft. Dieser Zug ist abgefahren, und die Medien werden die Werbung nicht mehr zurückbekommen. Die Medien sind jetzt kaptive Partner von Google, und die Regulierung über eine Vergütung wäre eine Korrektur des nicht funktionierenden Marktes.
Die Datenlage zur Werbung ist unklar, weil die dafür zuständige Stiftung für Werbestatistik nur selektiv Indikatoren publiziert und lieber teure Berichte an ihre Kundschaft verkauft. Es lässt sich daraus herauslesen, dass der klassische Werbemarkt immer etwa 4-5 Milliarden Franken lag. 2018 bis 2022 ist dieser Markt von 4.7 Milliarden auf 4.3 Milliarden geschrumpft, wobei insbesondere die Zeitungen 300 Millionen Franken verloren. Gleichzeitig wurde jedoch der Umsatz der Suchmaschinen 2022 auf zusätzliche 2 Milliarden geschätzt. Geht man auf 2010 zurück, war der Umsatz 4.7 Milliarden Franken. Es sieht also eher so aus, als die Suchmaschinen einen neuen Markt geschaffen haben, als dass sie andere verdrängt haben. Selbst die Ursache des Rückgangs bei den Zeitungen ist nicht geklärt. Die Verlage haben die Rubrikenanzeigen geschlossen und Portale für Immobilien, Stellenanzeigen und andere Kleinanzeigen eröffnet. Das Problem scheint also eher hausgemacht. Es ist aber unbestritten, dass Suchmaschinen mit einem Drittel des neu grösseren Werbemarktes eine dominante Stellung einnehmen.
Ein zweiter Ansatz wäre derjenige des neuen Filmgesetzes. Wer mit Schweizer Inhalten Geld verdient, sollte auch einen Teil wieder hier investieren. Der Werbeumsatz der Plattformen wird auf etwa 2 Milliarden geschätzt, dann wären 4% etwa 80 Millionen. Das Problem mit der Argumentation ist, dass Google alleine mit 5000 Angestellten vermutlich in der Schweiz jetzt schon fast so viel ausgibt, wie es hier verdient.
Der dritte Ansatz wäre eine Erweiterung des Urheberrechts. Wo immer die Technologie neue Nutzungen von Werken ermöglichte, wurde das Gesetz angepasst, um den Urheber-innen ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu gewährleisten. Kollektive Vergütungsmodelle sind die liberalste Variante einer solchen Anpassung, weil sie der Nutzung viel Spielraum geben. Der Ansatz wäre wie üblich bei Nebenrechten bis zu 10% der Einnahmen, die durch die Nutzung generiert werden. Die Einnahmen der Suchresultate mit Medieninhalten sind jedoch nur der kleinere Teil der Werbung. Die Verlage gehen von einem Umsatz von 385 Millionen aus für Werbung im Zusammenhang mit Suchanfragen, wo Medien im Spiel sind, und errechnen sich daraus einen „fairen“ Anteil von 150 Millionen (40%). Die Studie der Verlage geht selber davon aus, dass Google ohne Mediensnippets 9% weniger Umsatz mit Suchmaschinen machen würde, das wären 35 Millionen Franken. Der faire Anteil kann wohl nicht höher sein als der Umsatzzuwachs mit Medieninhalten. Nach bisheriger Praxis bei der kollektiven Vergütung von Nebenrechten wäre der Anteil eher bei 10%, somit sprechen wir von etwa 38 Millionen, davon 19 Millionen für die Verlage und 19 Millionen für die Urheber-innen. Dies relativiert etwas den Finanzierungsbeitrag für die Rettung der Medienvielfalt der Schweiz und das Interesse des Parlamentes, gesetzgeberisch tätig zu werden.
Im benachbarten Ausland wurde der Gesamtumsatz herangezogen, aber zu Sätzen im Bereich 2.5-5%. in Frankreich hatte Google mit den Medienunternehmen vereinbart, jährlich 75 Millionen Euro zu bezahlen (bei einem geschätzten Umsatz von knapp 3 Milliarden Euro, 2.5%) und wurde von der Regulierungsbehörde gebüsst, weil der Beitrag zu tief sei. In Deutschland sind die Verlage mit einer Klage über 1 Milliarde für 4 Jahre gescheitert, das wären 250 Millionen pro Jahr bei einem geschätzten Umsatz von 5 Milliarden (5%).
Wenn man den Ansatz weiterverfolgt, weil er doch für die Journalist:innen positive Perspektiven bietet, wäre es sinnvoll, folgende konstruktiven Kritiken einzubringen:
Der Kreis der anerkennten Medienunternehmen: Es ist nicht ausgesprochen, aber die SRG würde auch dazu gehören. Die Gesetzesrevision wäre die Gelegenheit, den Streit zwischen privaten Medien und der SRG zu beenden, und der SRG die volle Konvergenz zu erlauben, d.h. nicht nur Bild und Ton, sondern auch Text in voller Länge zu publizieren. Intelligent angelegt, könnte die SRG über diese Vorlage auch die Position bezüglich Abstimmung Halbierungsinitiative konsolidieren.
Unklar scheint mir, wem die Vergütung bei unbearbeiteten Agenturmeldungen zu Gute kommt. Sachgerecht wäre nicht das Medium, sondern die Agentur und die Autorenschaft.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass Leistungschutzrechte nur für Medienverlage und nicht auch für andere Verlage von geschützten Werken gelten soll. Wikipedia ist vermutlich einer der meist zitierten Websites von Google Suchabfragen.
Die Messung der Nutzung stellt grössere Herausforderungen an die Privatsphäre. Eine Vollerfassung aller Abfragen, wie heute auch Pro Litteris mit einem Pixel arbeitet, ist datenschutzpolitisch ein No Go, aber auch wirtschaftlich nicht sinnvoll anhand der Mikrovergütungen, die damit ausgelöst werden. Das Gesetz soll sicherstellen, dass mit zufälligen Samples gearbeitet wird, die genügen, um eine Abdeckung bei der Verteilung sicherzustellen. Es gibt in der Schweiz vermutlich etwa 20 Milliarden Abfragen pro Jahr. 2% davon genügen für eine Berechnung der Vergütung auf 10 Rappen genau.
Bei einer Verteilung nach Anzahl Abfragen stellt sich die Frage, wie die Vielfalt der Schweizer Medien auf Google abgebildet ist. Hier stellt sich die Transparenz der Algorithmen, welche die Links sortieren, da die meisten Leute nur die erste Seite der Resultate anschauen. Linear verteilt wūrden fast 70% Vergütungen an die grossen Verlage (Tamedia, CH-Media und Ringier) und 10% an die SRG gehen. Wenn es jedoch im Ausland das entsprechende Leistungsschutzrecht auch gibt, würden über 80% der Vergütungen an ausländische Verlage gehen, wie es der Entwurf vorsieht. Dies ist der Fall für Deutschland, Frankreich und Österreich, welchen den grössten Teil der Links an ausländische Medien ausmachen. Lohnt sich der Aufwand?
Die Vorlage des IGE ist die beste aller möglichen Leistungsschutzrechte. Sie ist eine Anpassung des Urheberrechts an die technologische Entwicklung. Sie trägt aber wenig dazu bei, das Grundproblem der Finanzierung des unabhängigen Journalismus zu lösen.